«Eine Lebensphase, in der sich Erkenntnisse, Erfahrungen und Wissen weitergeben lassen»

Luzern, 18. April 2012 – Die Themen rund ums Klimakterium greifen tief ins Leben ein. Rita Traversier unterrichtet an ihrer Weiterbildung an der Heilpraktikerschule Luzern, wie Phytotherapie West-TCM hilft, diese Themen anzugehen und den Weg in ein neues Gleichgewicht zu finden. Im Interview spricht Rita Traversier über Granatäpfel, weibliche und männliche Wechseljahre und darüber, ob Frauen oder Männer die besseren Klimakteriums-TherapeutInnen sind – und was diese neue Lebensphase für sie persönlich bedeutet.

Rita Traversiers Arbeiten zur Phytotherapie nach westlicher TCM sind bahnbrechend. Ihr Buch «TCM mit westlichen Pflanzen. Phytotherapie – Akupunktur – Diätetik» aus dem Jahr 2005 ist das Nachschlagewerk erster Wahl vieler TCM-Therapeuten. Anfang dieses Jahres hat es eine Neuauflage bekommen, herausgegeben vom Haug-Verlag und um 20 neue Pflanzenmonographien erweitert. Rita Traversier, 63, unterrichtet unter anderem die TCM-Weiterbildung «Phyto West-TCM im Klimakterium». Die Ausschreibung und die Online-Anmeldung finden Sie auf unserer Webseite www.heilpraktikerschule.ch. Rita Traversier kommt ursprünglich aus Belgien, führt seit 1996 eine eigene Praxis in Train in Deutschland. Sie hält Workshops und Vorträge zu Themen rund um die Phytotherapie West-TCM.

Rita, gibt es eine Pflanze, an die du sofort denkst, wenn du das Stichwort «Wechseljahre» hörst?

Spontan denke ich an den Granatapfel. Seine Fülle und runde Form drückt für mich Weiblichkeit aus, Fruchtbarkeit, ja Lust am Leben.

Was ist das Besondere am Granatapfel?

Das Klimakterium kennzeichnet u. a. einen Mangel an Yin, und die Samen dieser schönen, roten, mediterranen Frucht enthalten eine beeindruckende Menge an Yin-nährenden Substanzen. Das Öl der Samen wird als pflanzlicher Hormonersatz angeboten, aber auch der leicht süss-saure und etwas bittere Saft aus dem Fruchtfleisch wirkt schützend, bewegend und aufbauend. Es gibt aber noch viele weitere besondere Pflanzen für die Wechseljahre.

Wirkt der Granatapfel auch auf die Psyche?

Der Granatapfel ist eine sehr lebensbejahende Pflanze, er schenkt sonnige Kraft.

Welches sind die typischen Beschwerden, mit denen Klimakteriums-Patientinnen zu dir in die Praxis kommen?

Essenz-Mangel, Leere-Hitze typisieren das Klimakterium. Hitzewallungen, Nachtschweiss, Schlafstörungen, Trockenheit der Schleimhäute, Libidomangel sind physische Äusserungen dieses Yin-Mangels. Auf psychischer Ebene kennzeichnen Erregbarkeit, Überforderung und Verausgabung diese Disharmonie.

Gibt es auch Beschwerden, die ganz selten auftreten und dennoch im Zusammenhang mit dem Klimakterium stehen?

Praktisch nie stellt sich Leere-Hitze allein ein. Sehr oft geht der Yin-Mangel mit anderen Disbalancen einher, z. B. mit einem Yang- oder Qi-Defizit, das sich als Müdigkeit, Antriebsmangel, Kältegefühl, Verdauungsstörungen manifestiert. Die Energien von Milz-Pankreas und Magen lassen nach. Aber welche klimakterischen Beschwerden sind selten? Bei einer Patientin haben die Hitzewallungen sich mal von oben nach unten bewegt. Das hatte ich vorher noch nie gehört. Ja, das war ein Einzelfall. Hitze flutet physikalischerweise nach oben. Die Leere-Hitze ist neben Yin-Defiziten auch durch ein wurzelloses Yang gekennzeichnet. Das Aufflammen dieses Yang kann Migräne, Ohrgeräusche, Schwindel verursachen. Die wenigsten Frauen, die wegen klimakterischen Beschwerden meine Praxis aufsuchen, berichten jedoch über diese Erscheinungen. Candida-Befall ist wiederum eher ein Thema: Im Klimakterium gibt es auch eine Tendenz zu Nässe-Hitze. Mit der endokrinen Schwäche geht auch eine Schwäche des Immunsystems einher, das in diesem Fall nicht im Stande ist, den Pilzerreger zu bekämpfen.

Woran merkt eine Frau, dass sie in den Wechseljahrbeschwerden ist?

Die Wechseljahrbeschwerden kommen nicht von heute auf Morgen. Eine Frau kennt ihren Körper. Das «himmlische Wasser», das Menstruationsblut, wird weniger, die Menses werden unregelmässiger, die Libido nimmt ab, sie spürt, dass sie weniger belastbar wird, sie bekommt Hitzewallungen. Sie weiss, der Wechsel ist da.

Gibt es eine optimale Vorbereitung auf die Wechseljahre?

Frau oder Mann, die schon vor dieser Lebensphase gesund und bewusst gelebt und sich mit dem Lauf des Lebens und seiner Natur auseinander gesetzt sowie auch innere Werte gefunden haben, werden selbstverständlich leichter durch die Wechseljahre kommen.

Macht es einen Unterschied, ob Klimakterium-Patientinnen von Therapeutinnen oder von Therapeuten, also von Frauen oder von Männern, behandelt werden?

Im eigenen Schmerz spürt man den Schmerz des anderen besser. Wir kennen es als compassion oder Empathie. Ich will damit jedoch nicht sagen, dass ein männlicher Therapeut weniger im Stande ist, sich in die klimakterischen Beschwerden seiner Patientin einzufühlen. Es gibt übrigens auch das Klimakterium virile. Ich glaube, eher das Alter, die Reife und die Persönlichkeit des Therapeuten sind wichtig.

Du hast vorher schon von Frau und Mann gesprochen. Wie merkt ein Mann, dass er in die Wechseljahre kommt? Kauft er sich eine Harley-Davidson?

Auch der Mann altert. Beim Klimakterium virile nimmt das männlichen Hormon Testosteron allmählich ab. Männer merken die Wechseljahre an beginnender Leistungsschwäche, an Schlafstörungen, die sexuelle Energie wird schwächer, die Libido nimmt ab, eventuell bekommen sie Potenzstörungen. Irgendwann hat Mann überdies mit Herz- und Prostataproblemen zu kämpfen. Da im männlichen Körper zeitlebens männliche Geschlechtshormone vorhanden sind, verläuft dieser Wechsel nicht so abrupt und intensiv wie bei der Frau. Nicht selten hat Mann jedoch in diesem Lebensabschnitt auch mit psychosozialen Problemen zu kämpfen. Ja, als Kompensation kauft er sich vielleicht eine Harley-Davidson.

Mit 63 hast du die Wechseljahre hinter dir. War es schlimm? Und was hat dir am besten geholfen?

Die Phase von schlimmen Hitzewallungen und Schweissausbrüchen, die mich auch richtig schwächten, ist gottseidank relativ schnell vorbei gegangen. Phytotherapie, Phytohormone, richtige Ernährung, Zen, Taiji, Wanderungen in der Natur, das Respektieren innerer Rhythmen. All das hat mir sehr geholfen, ein neues Gleichgewicht zu finden. Auf geistiger Ebene sind die Wechseljahre eine Lebensphase, die zum Nachdenken über das Leben stimmen, über seinen Sinn allgemein, und den der Menopause. Die Menses haben aufgehört. Die Aufgabe der Fortpflanzung, auch die der Familie ist soweit abgeschlossen, die Kinder gehen aus dem Haus. Nun bietet sich eine neue Lebensphase an, die mich mehr auf die Gemeinschaft und ihre Belange orientieren lässt, eine Lebensphase also, in der sich Erkenntnisse, Erfahrungen und Wissen weitergeben lassen. Nebenbei suche ich die Zeit für einen lebendigen Austausch mit meinem Lebenspartner und den beiden erwachsenen Söhnen, jedoch suche ich auch immer wieder die Stille und viele kleine Freuden des Lebens. Es gelang mir, die Beziehung zu meinen Eltern zu klären, zu harmonisieren. Ich empfinde diese Phase meines Lebens als die interessanteste und am meisten ausgewogene.

Wie bist du dazu gekommen, dich für Phyto West-TCM zu interessieren?

So richtig ein auslösendes Ereignis gab es nicht. Tief in mir fühlte ich die Diskrepanz zwischen meiner Ausbildung in der Chinesischen Medizin und der abendländischen Phytotherapie. Keine von beiden wollte ich ablegen, dazu schätzte ich jede dieser Heilkünste zu sehr: die kluge diagnostische und therapeutische Methodik der TCM und unsere vertraute heimische Pflanzenwelt. Es gab also nur eine Lösung: sie vereinen, und warum nicht auch mit westlicher Kultur, Tradition sowie mit eigenen Erfahrungen anreichern? West und Ost sollten sich begegnen, eine neue therapeutische Methode bilden: die Phyto West-TCM. Vorher war ich als Journalistin tätig, das Schreiben, Aufzeichnen, Bewahren lag also nicht fern. So konnte auch unser Buch «TCM mit westlichen Pflanzen» entstehen.

Vielen Dank, Rita, für das Interview.

 

Buchtipp

Rita Traversier/ Kurt Staudinger/ Sieglinde Friedrich: TCM mit westlichen Pflanzen. Phytotherapie – Akupunktur – Diätetik, Haug Verlag, 2012 (in neuer und um 20 Pflanzen-Monographien erweiterte Auflage)

Mehr zum Granatapfel

https://www.heilpraktikerschule.ch/newsroom/news-detail/news/2012/04/18/eine-lebensphase-in-der-sich-erkenntnisse-erfahrungen-und-wissen-weitergeben-lassen/