«Häufig behandeln wir die Symptome, nicht die Ursache»

Ebikon, 24. August 2018 – Dozentin Dr. med. Eva Hess über die Haut: über Neurodermitis, Botox, Stress, Duschen, Red Flags, etwas Glycerin für die tägliche Hautpflege – und warum Symptombehandlungen manchmal auch hilfreich sind.

Gleich nach dem Unterricht zum Interview auf der Innenterrasse der Heilpraktikerschule Luzern: WestMed-Dozentin Dr. med. Eva Hess im Gespräch über Hauterkrankungen.

Eva, man sagt ja, die Haut sei ein Organ. Ein Organ tut aber etwas. Was macht denn die Haut?

Ja, man denkt, die ist einfach so da, aber tatsächlich arbeitet sie permanent.

Was denn?

Zum Beispiel am Abend, wenn du die Socken ausziehst, da staubt es. Das ist aber kein Staub, das sind Hautzellen. Die Haut baut sich konstant um, repariert sich andauernd, pro Minute regeneriert sie Millionen von Zellen.

Andere Organe regenerieren sich ja auch. Was ist die spezifische Arbeit der Haut? Was ist, modern gesprochen, ihr Job-Profil?

Das ist sehr umfassend. So schützt dich die Haut vor Erregern, durch ihre Hornschicht und ihren Säureschutzmantel. Zusätzlich befinden sich in der Haut Abwehrzellen, die gegen unerwünschte Bakterien, Viren und Pilze vorgehen, sie schützt dich so vor Infektionen. Dann sind da noch, unter vielem anderen, die Melanozyten, sie sind für die Färbung der Haut zuständig. Wenn du an die Sonne gehst und braun wirst, ist das ein Zeichen, dass sich deine Haut schützt.

Eine lange Liste.

Ja, und da kommt mehr. Zum Beispiel atmet die Haut auch und scheidet Stoffe aus. Der Knoblauchduft und vieles andere geht durch die Haut hinaus, ebenfalls die Lock- und Botenstoffe. Frauen, welche die Pille als Verhütung einnehmen, riechen anders als ohne – das kann sich schon mal auf die Beziehung auswirken, wenn die Frau die Pille absetzt – im positiven wie negativen Sinne. Oder wenn die Nieren nicht mehr ausreichend funktionieren, werden die Harnstoffe über die Haut ausgeschieden und der Mensch riecht unangenehm nach Urin, obwohl er nicht Inkontinent sein muss. Ausserdem reguliert die Haut die Temperatur durch Schwitzen. Und die Haut ist auch empfindlich gegenüber gefährlichen Reizen und warnt uns vor Gefahren. Du reagierst blitzschnell, wenn du zum Beispiel mit deiner Hand etwas Heisses berührst und ziehst sie sofort zurück. Die Haut ist ein sehr empfindliches Wahrnehmungsorgan.

Wahrnehmungsorgan?

Ja, warum gehen die Menschen in die Massage? Natürlich, damit der Bewegungsapparat wieder besser funktioniert, aber es geht auch um das Wohlbefinden und die Entspannung. Über die Haut nimmst du wahr, was angenehm ist und was nicht. Dieses Empfinden ist wichtig, denn so kannst du Unangenehmem ausweichen. Das fällt einem erst auf, wenn man diese Fähigkeit verliert. Das passiert vor allem Diabetikern, die ihren Zuckerspiegel schlecht unter Kontrolle haben und Verletzungen gar nicht mehr wahrnehmen können, zum Beispiel an den Füssen.

Inwiefern gibt es Zivilisationskrankheiten, die die Haut betreffen?

Die erhöhte Gefahr, dass sich Hautkrebs bildet, hängt sicher mit den Auswirkungen unserer Lebensweise zusammen. Auch Neurodermitis, die beginnt ja meistens im Kindesalter, und zwar bei Kindern, die in eher zu sauberen Umgebungen aufwachsen, wenig Kontakt mit natürlichen Fremdsubstanzen haben. Früher hat man sich nicht so oft gewaschen, das tägliche Duschen, das Waschen auch im Intimbereich, das schadet dem Säureschutzmantel. Die Haut trocknet aus, und wird anfälliger gegenüber Mikroorganismen, sie können eindringen. Dann gibt es auch häufige Berufskrankheiten, zum Beispiel bei SchreinerInnen und BäckerInnen kommt es oft zu allergischen Hauterscheinungen. Und zu «guter Letzt» möchte ich all die sinnlosen Schönheitsoperationen und Botox-Therapien erwähnen, die mit unseren skurrilen Idealen zusammenhängen. Das kann man auch gut als Zivilisationskrankheit sehen. Heute musst du «bügelfaltenfrei» bis ins höchste Alter sein, damit dich unsere Gesellschaft attraktiv findet.

Warum sind eigentlich Erkrankungen wie Neurodermitis so schwer zu behandeln?

Sie sind multifaktoriell bedingt, es spielen viele Einflüsse hinein. Wir haben die Umwelt mit ihren Hausstaubmilben, Tierhaaren, auch Citrusfrüchte und andere Nahrungsmittel, welche die Ausschüttung von Histamin aus körpereigenen Zellen fördern. Und andererseits haben wir auch unsere sozialen Beziehungsnetzwerke, in denen es zu Stress kommen kann.

Stress?

Ja, sei es im Kindergarten oder in der Schule, wo wir nicht immer gleicher Meinung sind mit den Lehrern oder Mitschülern. Dann sind da ja auch die Eltern und Geschwister oder die ganze Patchwork-Family, das Heranwachsen ist ja nicht nur harmonisch. Die Eltern werden nervös, wissen nicht mehr, was tun, und diese Nervosität belastet das Familienleben zusätzlich. In meiner Zeit, als ich im Kinderspital gearbeitet habe, wurde ein Kind vom Pädiater auf den Notfall zugewiesen. Die Eltern brachten eine riesige Tasche voll verschiedener Cremes, welche sie alle am Kind angewendet hatte. Die Haut war alleine schon durch die vielen Salben und Pasten völlig irritiert und das Kind ganz nervös, weinerlich. Die Eltern waren ebenfalls total aufgekratzt und nervös, voller Kaffee und Nikotin und ungeduldig. Solche Nervositäten sind der Genesung sicherlich nicht förderlich.

Multifaktoriell heisst, man muss dann auch an verschiedenen Stellen ansetzen?

Ja, zum Beispiel bei dieser extrem trockenen Haut, sie juckt, und wenn man sich kratzt, liegen bald die Nerven blank, werden überempfindlich und man muss noch mehr kratzen. Die Schulmedizin versucht da, den Juckreiz zu lindern, mithilfe von Cortison und Antihistaminika; und sie verschreibt Hautcremes, die gut rückfetten. Die Salben dürfen aber nicht zu fetthaltig sein, sonst schwitzt die Haut vermehrt und dies verstärkt wieder den Juckreiz. Auch den Stress muss man reduzieren. Entspannung hilft, so schwer sie auch zu erreichen ist.

Kann das Erscheinungsbild der Haut Hinweise auf innere Krankheiten geben?

Ja, zum Beispiel wenn die Haut gelb wird und sich das Weisse im Auge ebenfalls verfärbt, also die Skleren, dann ist das sogar eine Red Flag, also ein Alarmzeichen. Diese Gelbverfärbung kann zum Beispiel ein Hinweis sein auf eine Lebererkrankung oder auf eine Abflussstörung der Gallensäfte oder auf einen Tumor des Pankreaskopfes. Sie kann aber auch komplett harmlos sein, eine Studienkollegin hatte einfach sehr viel Karotten gegessen, um ihre Sommerbräune länger zu erhalten. Eine klassische Red Flag, die gerade jetzt aktuell sein kann, ist eine Hautrötung mit einer Einstichstelle, sie kann ein Zeichen für einen Insektenstich sein. Aufpassen sollte man, wenn es um den Stich herum einen roten Ring gibt, das könnte ein Zeichen für eine Borrelien-Infektion (Bakterien) durch Zecken sein, eine sog. Wanderröte. Die ZHAW hat eine Zecken-App entwickelt, sehr empfehlenswert.

Viele Leute nutzen auch alternativmedizinische Therapien, also Ayurveda, TCM oder TEN. Wie siehst du das als Westmedizinerin?

Häufig behandeln wir SchulmedizinerInnen nicht die tatsächliche Ursache, sondern die störenden Symptome wie Juckreiz oder Entzündungen. Dies deswegen, weil die Ursachen zu Beginn meist unklar sind und den PatientInnen durch Linderung der Beschwerden rasch geholfen werden kann. Damit ist aber in der Regel das Problem noch nicht beseitigt oder der echte Grund für die Hauterscheinung gefunden. Deswegen rate ich PatientInnen, zusätzlich eine alternativmedizinische Therapie in Betracht zu ziehen. Und tatsächlich kenne ich PatientInnen, die mit Alternativmedizin sehr gute Erfahrung gemacht haben und sogar von anscheinend «unheilbaren» Hautkrankheiten geheilt wurden. Mir scheint, da spielt es eine grosse Rolle, dass Alternativmedizin und Komplementärtherapie sehr gut darin sind, auch den ganzen Stress zu reduzieren.

Die Alternativmedizin hält viel von der Ernährung, gerade auch hinsichtlich Prävention und Therapie von Hauterkrankungen. Die Westmedizin auch?

Als Westmedizinerin sehe ich Ernährung natürlich auch als wichtig an. Für mich sind aber Konzepte wie 5-Elemente, Doshas und Humoralmedizin eher weniger verständlich, obwohl sie durchaus sinnvoll sein können. Zu berücksichtigen bei AllergikerInnen oder Menschen mit Neurodermitis ist, dass einige Gewürze diese Erkrankungen auslösen oder verstärken können. Grundsätzlich finde ich es aber sinnvoll, wenn es zu mehr Abwechslung auf dem Teller kommt.

Was kann ich aus westmedizinischer Sicht tun, um meine Haut möglichst lange gesund und schön zu halten?

Am besten bügelst du sie jeden Morgen und Abend, faltest sie schön zusammen. Also, ernsthaft jetzt: nicht rauchen, nicht zu viel Alkoholisches, nicht zu viel Sonne, den Stress ausgleichen, genügend Schlaf, ausgewogene Ernährung, Vitamine, Mineralstoffe.

Cremes?

Wegen der Falten? Wenn du schaust, was alles in den Cremes ist, da wird dir übel, Plazentaextrakt und ganz viele Chemikalien, die bestimmt nicht alle gesund sind. Nun, vielleicht gibt es ja eine Veranlagung für Falten, und da will man ja etwas tun, wenn man nicht ganz auf die innere Ausstrahlung vertrauen will. Ich kenne eine Frau, die ist 90  Jahre geworden und hat ein fast faltenfreies Gesicht gehabt. Das war sicher nicht nur die innere Ausstrahlung. Sie hat Glycerin verwendet, und das ergibt Sinn, wenn man es sparsam einsetzt. Es ist ja auch ein Bestandteil des hauteigenen Feuchthaltesystems. Es erhöht die Elastizität der Haut und schützt sie vor Austrocknung.

Ausserdem: Es ist ein unglaublich sonnenreicher Sommer, wie sieht dein Sonnenschutz aus?

Die meisten Tagescremes haben schon einen leichten Sonnenschutz. Am Strand so richtig eincremen und die Nase und Ohren nicht vergessen, je nach Hauttyp bis zu Faktor 50, nicht länger als eine halbe Stunde in der Sonne liegen, mechanischen Schutz einsetzen, T-Shirt, Hut. Auch auf die Sonnenbrille achten, sie muss wirklich gut sein und nicht nur eine billige Folie auf den Gläsern haben, sonst hat man den gegenteiligen Effekt: Die Pupillen weiten sich bei einer stark abgedunkelten Sonnenbrille und es kommen mehr schädigende Strahlen in das Auge.  Wegen des Ozonlochs sind in Australien und Neuseeland die Fälle von Augentumoren angestiegen.

Danke, Eva, für das Gespräch.

Sehr gerne, Martin.

Eva Hess hat an der Uni Zürich studiert, gearbeitet hat sie in der Chirurgie, der Inneren Medizin und in der Pädiatrie. Sie interessierte sich schon immer fürs Unterrichten, hat das SVEB II absolviert, das Nachdiplomstudium Medical Education besucht und mehrere Gesundheitsschulen in der Lehrplanentwicklung unterstützt. Für die OdA AM ist Eva Hess Chefexpertin für das Modul M1 und mitverantwortlich für die Entwicklung der schriftlichen und praktischen Prüfung. An der Heilpraktikerschule Luzern ist Eva zuständig für das Ressort WestMed und unterrichtet auch selber verschiedene Disziplinen, zum Beispiel Untersuchungstraining sowie Symptome und Differentialdiagnose. Früher hat sie in der Freizeit Hochzeiten fotografiert. Eva lebt mit ihrem Mann zusammen – und sieben Katzen, die sie durchs Leben begleiten: «Die jüngste ist jetzt acht Monate», sagt sie, «ein roter, langhaariger Kater.»

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