«Ich bin da entspannter»

Luzern/Ebikon, 12. August 2016 – In einem Interview in der Zeitschrift Annabelle werden HeilpraktikerInnen heftig kritisiert. Was ist an dieser Kritik dran? Peter von Blarer von der Schulleitung der Heilpraktikerschule Luzern bleibt entspannt, hier im Interview.

Placebo nicht verhindern, sondern nützen – und auf die Ernährung achten, sich viel bewegen und die Beziehungen klären: Peter von Blarer, Shiatsu- und TCM-Therapeut und Schulleiter der Heilpraktikerschule Luzern, sieht die Naturheilkunde als wirksam.

Eine Studentin hat uns auf dieses Interview in der Zeitschrift Annabelle (10/2016) aufmerksam gemacht. Interviewt wird die deutsche Autorin Anousch Mueller, sie hat kürzlich ihr Buch «Unheilpraktiker – Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen» veröffentlicht. Mueller wollte selber Heilpraktikerin werden, ihr kamen aber im Verlauf ihrer Ausbildung Zweifel. Im Annabelle-Interview kritisiert sie HeilpraktikerInnen heftig. Peter von Blarer von der Schulleitung der Heilpraktikerschule Luzern äussert sich dazu im folgenden Interview.

Peter, Naturheilkunde wirke nicht, was meinst du dazu?

Die Frage müsste lauten, wie wirkt Naturheilkunde? Und das sind vermutlich sehr viele verschiedene Faktoren.

Das Hauptargument ist, so Anousch Mueller, dass der Körper ja tatsächlich über Selbstheilungsfähigkeiten verfüge. Die Patienten würden aber die Genesung nicht diesen Selbstheilungsfähigkeiten zuschreiben, sondern den Fähigkeiten ihres Heilpraktikers. Wie siehst du das?

Ähnlich. Es ist richtig, dass die Selbstheilungskräfte wichtig sind und vieles wieder ins Lot bringen. Doch dann stellt sich die nächste Frage: Wie aktiviere ich die Selbstheilungskräfte am besten? Da scheint mir der Placeboeffekt schon eine wichtige Rolle zu spielen. Ich habe schon lange die Idee für einen interdisziplinären Kongress mit dem Übertitel: «Wie verhindere ich die Verhinderung des Placeboeffektes?»

Mueller setzt die Selbstheilungskräfte mit dem Immunsystem gleich: Auf die Frage: «Kann man die Selbstheilungskräfte anregen?» antwortet sie: «Nein, das Immunsystem lässt sich nicht triggern.» Wie siehst du das, sind Selbstheilungskräfte mehr als das Immunsystem – und wie lässt sich dieses Mehr dann eben doch «triggern», stärken, ankurbeln?

Ob die Selbstheilungskräfte allein im Immunsystem liegen, kann ich nicht sagen, finde das aber einen guten Ansatz. Trotzdem: Das Immunsystem lässt sich aber schon schwächen bzw. stärken. So ist das Immunsystem zum Beispiel stark von der Psyche abhängig, Stichwort Psychoneuroimmunologie. Deshalb auch meine Empfehlung: Betreibe Psychohygiene im wahren Sinne. Kläre immer wieder möglichst alle Beziehungen in der eigenen Familie und natürlich im erweiterten Umfeld. Ausserdem: Schau, dass deine Ernährung einfach top ist, werde aber nicht sektiererisch. Es darf auch mal Pommes mit Ketchup sein, aber nicht zehnmal pro Jahr. Bewege dich: die Treppe, nicht den Lift. Möglichst viele Tramstationen vorher aussteigen. Angeblich leben in Sardinien die Männer da am längsten, wo die Abhänge am steilsten sind.

Gibt es neben dem Placeboeffekt noch anderes, das Besserung und im besten Fall Genesung bewirkt?

Ja. Wie gesagt, da ist die Ernährung, die wird meiner Ansicht nach immer noch zu stark vernachlässigt. Sie ist das Fundament, auf dem die Gesundheit steht oder wackelt. Es gibt da zwei Ursachen, erstens Unwissen: «Ich habe nicht gewusst, dass mein Schokoladenkonsum mit meiner chronischen Bronchitis zusammenhängt. Das ist für mich kein Problem, dann esse ich doch stattdessen einen Apfel.» Zweitens eine Art Ignoranz oder Trotz, eine Abwehrhaltung: «Was, Schokolade soll etwas mit meinem Husten zu tun haben? Das glaube ich nicht, ich habe Schokolade viel zu gerne.» Dann gibt es die Phytotherapie, also Behandlungen mit Kräutern. Das ist ein Feld, das ja auch für die Pharmaindustrie sehr interessant ist, man weiss hier sehr viel über Ursachen und Wirkungen. Johanniskraut zum Beispiel ist ein gut erforschtes Kraut bei Depressionen. Oder der Mönchspfeffer, der hat erwiesenermassen einen Einfluss auf die Prolaktinausschüttung und dadurch Einfluss auf PMS.

Wie sieht es mit Akupunktur aus?

Akupunktur sehe ich ebenfalls als sehr wirksam an, sie ist ja in dem Artikel als zumindest einigermassen wirksam dargestellt und wenig in Frage gestellt. Ausserdem gibt es da ja einige Studien zur Wirksamkeit. Wichtig scheint mir, dass der Mensch, der gesund werden will, Entscheidungen treffen muss, die es ihm ermöglichen, anders als bis jetzt zu leben. Auch wenn es «nur» ein paar Kilo abnehmen sind. Das ist bei Kniebeschwerden oder Krampfadern hilfreich, manchmal sogar bei psychischen Problemen.

Naturheilkunde sei gefährlich, so schon in der Ausbildung: Die Autorin berichtet, wie ein Neuraltherapeut einer Mitstudentin der Autorin eine zwanzig Zentimeter lange Hohlnadel in den Bauch stiess, was ja nur einem Arzt vorbehalten ist. Diesen Einwand habe der Dozent nicht ernst genommen, vielmehr habe er auf die Ärzteschaft gepfiffen. Gibt es so etwas auch an der Heilpraktikerschule Luzern?

Nein, wir unterrichten keine Neuraltherapie. Invasiv sind bei uns nur Akupunktur und, wenn man so will, die Blutegel. Und wir setzen klare Grenzen: da hören wir auf, das gehört in die Schulmedizin. Statt Überheblichkeit versuchen wir eine wohlwollende Offenheit zu vermitteln, gerade gegenüber der Schulmedizin, ihren Leistungen und Möglichkeiten. Eine Art selbstbewusster Bescheidenheit.

Ebenfalls, so Mueller, bestehe Lebensgefahr, wenn jemand auf Heilpraktiker höre und z. B. bei Bronchitis oder einer Lungenentzündung auf schulmedizinische Therapien verzichte.

Richtig: Antibiotika sind, zum Glück, erfunden und sie sollen im passenden Moment richtig eingesetzt werden. 

Auch soll an der Berliner Paracelsus-Schule regelrecht Impfangst geschürt worden sein. Warnt die Heilpraktikerschule Luzern ebenfalls vor Impfungen?

Impfungen sind nützlich, sie verhindern Schlimmes. Impfungen sollten aber immer der Situation angepasst sein, also nicht einfach nur als Routine durchgeführt werden. So sollte während einer akuten Erkältung nicht noch gegen Masern geimpft werden. Das macht das Vorgehen natürlich kompliziert, es müssen Termine verschoben werden, aber viele Schulmediziner nehmen auf solche Situationen Rücksicht.

Was empfiehlst du jemandem, der zum Beispiel Kinesiologie studieren möchte, jetzt aber im Buch «Unheilpraktiker» liest, dass Kinesiologie nutzlos sein soll, wie übrigens viele andere dort erwähnten Therapieformen?

Ich sehe das etwas entspannter. Jede Methode, ob Kinesiologie, Shiatsu, Fussreflex, Craniosacral, Massage, sogar die Homöopathie, hat ihre eigenen Qualitäten und spricht ja auch verschiedene Menschen an. Bereits dieses Ansprechen hat ja eine wichtige Funktion, so darf man sich sein Placebo ruhig dort holen, wo es ist. Für jeden Menschen kann das anders sein. Aus Sicht eines künftigen Therapeuten: Man soll mit der Methode arbeiten, die einen wirklich interessiert. Dann wird man auch Erfolg haben damit. Und falls diese Methode wirklich nur Placebo sein sollte, rein hypothetisch, würde dieses Placebo zumindest besonders stark wirken, wenn man als Therapeut richtig überzeugt ist.

Aber das würde ja bedeuten, dass man Tag für Tag in der Praxis etwas macht, das vielleicht nur Placebo ist? 

Hypothetisch ja. Aber nehmen wir doch das Beispiel aus dem Interview: Kinesiologie, die ja nutzlos sein soll. Kinesiologie kann Beschwerden und Fragen, die eine KlientIn beschäftigen, schnell und effizient von neuen Seiten beleuchten, und es kommt zu Lösungen. Was daran soll jetzt Placebo sein?

Wie geht ihr als Heilpraktikerschule Luzern vor, damit eure Studenten später in ihrer Praxis keine Leben gefährden?

Wir nehmen die Schulmedizin sehr ernst und haben eine top Ausbildung geschaffen. Zum Beispiel mit dem Kurs «Patientensicherheit und Red Flags», in dem die Studenten lernen, welche Indikationen und vor allem welche Kombinationen von scheinbar harmlosen Symptomen regelrechte Alarmsignale sind.

Im Interview kommt ja vor allem die Situation in Deutschland zur Sprache. Ist die Situation in der Schweiz ähnlich?

Das ist mein Kritikpunkt am Artikel. Die deutschen Verhältnisse können nicht auf die Schweiz übertragen werden. Wir haben Berufsbilder, die sehr umfassend sind, erarbeitet mit den Organisationen der Arbeit OdA AM und der OdA KT. Da werden nicht nur Methoden und ihre Handhabung beschrieben, sondern auch ethische Themen, der Umgang mit dem Patienten, Qualitätsmanagement in der naturheilkundlichen Praxis, et cetera. Wirklich umfassend und sehr durchdacht. Ich meine, dass diese Form weltweit einmalig ist und damit auch die Qualität und Sicherheit, die dieser Form entspringen.

Was bringen die eidgenössischen Diplome, die es ja jetzt neu in der Naturheilkunde gibt?

Ganz klar: Sie bringen noch nie dagewesene Qualitätsansprüche. NaturheilpraktikerInnen und KomplementärtherapeutInnnen mit diesen Diplomen werden in Zukunft eine gute Zusammenarbeit mit der Schulmedizin garantieren – nicht gegen die Schulmedizin, sondern wirklich mit ihr!

Du selber bist Shiatsu- und TCM-Therapeut. Shiatsu soll gemäss Mueller aufgrund dessen, dass es zu Berührungen kommt, wirksam sein. Was sind deine Erfahrungen?

Shiatsu ist meine Lieblingsmethode, weil sie es der KlientIn ermöglicht, in ihrem Körper wirklich zuhause zu sein. Man kann sagen, es sei ja nur eine Massageart. Die KlientInnen behalten sogar die Kleider an. Wenn du aber nach meinen Erfahrungen fragst: Es ist schon verrückt, wie es KlientInnen besser geht, wie sie ausgeglichener werden, ihr Leben angehen.

Hast du eine Erklärung dafür?

Meiner Meinung nach kommt das daher, dass Shiatsu eng mit der TCM verwoben ist, und die kann ja unzählige Lebens- und Krankheitssituationen erklären, und das in faszinierender Klarheit. Meine Erklärung wäre also: TCM. Nur ist da fraglich, ob diese Erklärung bei Alternativmedizin-Skeptikern auf Akzeptanz stiesse. Zur TCM gehört auch die Akupunktur, vielleicht könnte man sogar sagen, Shiatsu sei fliessende Akupunktur oder Akupunktur in Bewegung. Akupunktur mit ihren Nadeln hat sogar eine naturwissenschaftlich akzeptierte Wirksamkeit, die aber bis heute noch nicht erklärt werden kann. Wirksam ist sie, und zwar ausserordentlich, nicht nur aus meiner Erfahrung, auch zahlreiche Studien zeigen das. Und auch hier kommt die Frage vom Anfang: Wie und was wirkt da genau? Ist es der Placeboeffekt? Sind es die Nadeln? Sind es die spezifischen Punkte? Ich erhoffe mir, da die Universitäten ja einen akademischen Lehrauftrag für Naturheilkunde erhalten haben, dass da neue, verständliche Erklärungsmodelle entwickelt und erforscht werden. Und wir sind ja dann die Praktiker, Heilpraktiker, die sich auf diese neuen Erklärungsmodellen abstützen können.

Und du selber, was tust du für dein Immunsystem, deine Selbstheilungskräfte?

Was auch der Berliner Immunologe tut, den die Autorin zitiert: Ich bewege mich viel, das ist einfach so, ich schlafe gut und esse wunderbar. Zum Beispiel viel Hühnersuppe nach einem TCM-Rezept.

Danke, Peter, für das Gespräch!

 

Peter von Blarer

Mitglied der Schulleitung der Heilpraktikerschule Luzern und Miteigentümer: aus Zürich, seit 1992 glücklich in Luzern, ursprünglich Elektroniker, dann Shiatsu, Akupunktur, Chinesische Arzneimittel, Ernährung nach den 5 Elementen, Westliche Kräuter nach TCM. Und immer viel berufpolitisches Engagement. Während der letzten zwei, drei Jahre tatsächlich auch Bauherr und Bauhandwerker: das neue Schulgebäude in Ebikon. Und zwischendurch das online Kräuter- und Nahrungsmittellexikon Therapeutika auf den neusten Stand bringen.

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