«Ich habe nach der Wurzel gesucht, dem tiefen Verständnis»

Ebikon, 14. Juli 2017 – Nach ihrer TCM-Ausbildung stand Nadine Zäch mit vielen offenen Fragen da. Fünf Jahre suchte sie nach schlüssigen Antworten. Dann trifft sie auf die Chinesische Arzneitherapie nach Shang Han Zha Bing Lun.

Nadine Zäch: «Shang Han Lun bietet ein tiefes Verständnis der Dinge. Und genügend Inhalt, um ein Leben lang dazuzulernen.» Photo: ZVG

Nadine, Shang Han Lun, wie bist du auf dieses Thema gekommen?

Ich hatte meine TCM-Ausbildung abgeschlossen, doch da waren so viele offene Fragen. Meine Ausbildung schwebte wie eine Baumkrone in der Luft. Ich suchte nach der Wurzel, in der sich alles vereint, nach einem tiefen Verständnis der Dinge. Wen oder was genau ich suchte, wusste ich nicht. Doch ich war überzeugt, dass es etwas gibt.

Woher ist diese Überzeugung gekommen?

Keine der Antworten, die ich auf meine Fragen bekam, überzeugte mich. Ich suchte Antworten, die wirklich kongruent sind und nicht nur für einzelne Szenarien stimmig sind. Ich verstand aber, dass aufgrund der Theorie etwas vorhanden sein muss, das mir dieses tiefe Verständnis der Dinge bietet – denn die TCM beruht ja darauf.

Und wie hast du das gefunden?

Nach meiner Ausbildung las ich die Klassiker, so auch den Shang Han Lun. Verstanden habe ich wenig. Nur, dass Shang Han Lun die Bibel für die Rezepturenlehre schlechthin ist. An einem Kongress in Rothenburg besuchte ich einen Vortrag von Dr. Arnaud Versluys zu diesem Thema. Und da erhielt ich – ohne danach zu fragen – tatsächlich viele Antworten, nach denen ich bisher vergeblich gesucht hatte. Ich wusste, wenn dieses System hält, was es verspricht, dann ist es das richtige für mich. Der Dozent wurde mein Lehrer.

Welche westlichen Indikationen und Themen haben mit Shang Han Lun zu tun?

Jede Erkrankung. Eine Erkrankung bedeutet ja immer eine Dysfunktion der Physiologie, eine gestörte Funktionsweise des Körpers und seiner Abläufe, also Pathologie. Shang Han bedeutet Kälteschaden, was im weiteren Sinne ein Schaden durch Yin bedeutet, also ein Schaden am Yang. Man kann sagen, alle von aussen zugezogenen Erkrankungen gehören zum Shang Han Lun, alle anderen zum Jing Gui Yao Lue. Zusammen bilden diese beiden Bücher den Shang Han Zha Bing Lun, der alle denkbaren Szenarien abdeckt.

Inwiefern hilft dir Shang Han Lun in der Praxis?

Über das einzigartige Pulssystem führt Shang Han Lun sehr schnell, direkt und akkurat zu der Behandlung, die der Körper braucht. Da es ein in sich geschlossenes System ist, lässt es Rückschlüsse zu.

Ab September unterrichtest du Shang Han Lun bei uns an der Schule. Deine Fortbildung ist ziemlich intensiv, sie geht über sechs Wochenenden?

Findest du? Wenn ich an das Wissen denke, das dahinter steckt, dann ist der Kurs erst ein Einstieg. Intensiv ist für meine Begriffe nochmal etwas anderes.

Für wen eignet sich Shang Han Lun?

Der Kurs ist für alle, die bereit sind, in die Tiefe zu gehen und wirklich verstehen wollen. TherapeutInnen, die stetig noch bessser werden möchten. Menschen, die den Drang haben, sich stets zu verbessern und dazuzulernen. Shang Han Lun begeistert und liefert genügend Stoff, um ein Leben lang dazuzulernen.

Ist diese Fortbildung auch für TherapeutInnen der Phyto West-TCM interessant?

Ja, dieser Kurs ist für alle interessant, die ein tieferes Verständnis von Physiologie und Pathologie des Körpers anstreben. Eigentlich für alle, die bereits mit Einzelkräutern arbeiten. Die Rezepturenlehre greift auf einer tieferen Ebene ein, als das ein Einzelkraut vermag. Und die TeilnehmerInnen bekommen die Werkzeuge, um das Gelernte gleich anzuwenden.

Inwiefern unterscheidet sich Shang Han Lun von der Chinesischen Arzneitherapie?

Im Shang Han Lun verschreiben wir Rezepte möglichst unverändert. Es geht darum, die richtige Rezeptur zur Erkrankung zu finden, die Rezeptur, die genau auf ein Problem passt und es behebt. Das System ist so akkurat, dass bereits kleine Veränderungen in der Dosierung eines Krauts zu einem anderen Rezept führen, und es dadurch eine andere Wirkung hat. Dazu kommt, dass wir jeden Umweg über Umbenennung vermeiden. Der Puls heisst gleich wie die Diagnose und die Behandlung. Das lässt ein sehr schnelles und effektives therapeutisches Arbeiten mit klassischer Chinesischer Arzneitherapie zu.

Und das ist das, was dich an Shang Han Lun so fasziniert?

Ja, diese Wirksamkeit der Behandlung, diese Genauigkeit der Rezepturen und ihrer Wirkweisen und diese Tiefe im Physiologie-Pathologie-Verständnis. Es beeindruckt mich, dass ich durch die Pulsdiagnose behandeln kann, ohne der Sprache zu bedürfen.

Ein weiteres Spezialgebiet von dir ist Diet da. Machst du Diet da, um deine GegnerInnen nach einem Kung-Fu-Kampf wieder auf die Beine zu bekommen?

Mein Herz schlägt für die Medizin, so dass ich meine GegnerInnen vermutlich tatsächlich verarzten würde. Die ursprüngliche Idee von Diet da ist allerdings eine andere: Bevor man lernt, wie man etwas kaputt macht, soll man lernen, wie man es repariert. Mit Diet da behandle ich Beschwerden am Bewegungsapparat, also auch Sportverletzungen, die es ab und zu auch im Kung Fu gibt. Ich hoffe, dass ich Kung Fu weiterhin nie im Ernstfall einsetzen muss.

Lässt sich mithilfe von Diet da auch ein Knochenbruch wieder richten?

In Hong Kong ja, da richtet der Diet-da-Therapeut Knochenbrüche. In der Schweiz machen das Schulmediziner und die Diet-da-Behandlung beschleunigt die Heilung.

Ein gerissenes Kreuzband lässt sich aber nicht wieder heilen?

Nein, zaubern kann Diet da nicht. Doch es lässt Schmerzen, Schwellungen und Reize schnell abklingen. Und gezielter Muskelaufbau macht manche Operationen sogar überflüssig.

Darf man überhaupt über «Heilung» sprechen?

Natürlich. Gäbe es sie nicht, würden wir alle ziemlich schnell wieder sterben. Doch jede Heilung ist Selbstheilung. Die Frage ist: Was kann ich dazu beitragen, dass der Körper in seine Selbstheilung findet.

Du richtest dich mit der Diet-da-Fortbildung hauptsächlich an AkupunkteurInnen. Heisst das, die Nadel ist das Mittel der Wahl, wenn es um Sportverletzungen geht?

Einerseits ja, da Akupunktur bei Störungen im Bewegungsapparat schon relativ bekannt ist. Andererseits nein, weil Phytotherapie sehr gut chronische Beschwerden behandelt, die man äusserlich auch mit Diet da behandeln kann. Die Nadel ist nur eines der Mittel. Dazu kommen Schröpfen, die Schabetechnik Gua Sha, Moxa, Kräuterlotionen und -Packungen sowie Übungen zur Dehnung und Kräftigung.

Was hat eigentlich Kung Fu mit QiGong zu tun?

Kung Fu heisst «harte Arbeit über lange Zeit, um zur Meisterschaft zu gelangen». Nach diesem Verständnis macht ein Koch Kung Fu, auch ein Dichter und der Kalligraph. Bei uns im Westen verstehen wir unter Kung Fu die asiatische Kampfkunst. QiGong bedeutet «Arbeit mit Qi», also Arbeit mit der Lebensenergie. Und mit dieser Energie arbeiten wir auch im Kung Fu – und in anderen traditionellen Kampfkünsten.

Danke für das Gespräch, Nadine.


Nadine Zäch ist dipl. Akupunkteurin und Herbalistin SBO-TCM (CH), Diplomate in Acupuncture NCCAOM (USA) und führt seit 17 Jahren zwei Praxen für Chinesische Medizin in Zürich und Wil. Ihre Spezialgebiete sind Diet da (Traumatologie und Orthopädie) und die kanonische chinesische Medizin (innere Medizin). Sie ist Dozentin an der Heilpraktikerschule Luzern und doziert weltweit über Shang Han Zha Bing Lun und Diet da.


Modul Chinesische Arzneitherapie: Shang Han Lun in der Praxis

https://www.heilpraktikerschule.ch/newsroom/news-detail/news/2017/07/14/ich-habe-nach-der-wurzel-gesucht-dem-tiefen-verstaendnis/