«Die Lust auf Zucker richtig interpretieren»

Ebikon/Zürich, 15. März 2018 – Was hält der Ayurveda von Zucker? Und wie hilft der Ayurveda, auf Zucker zu verzichten? Wir fragen Ayurveda-Expertin Kerstin Rosenberg von der Europäischen Akademie für Ayurveda, unserer Partnerschule.

Kerstin Rosenberg empfiehlt: Finger weg von Fertigprodukten, Fastfood und Softdrinks. Und vor allem Personen mit einer Kapha-Konstitution sollten Zucker eher meiden. Ansonsten gilt für gesunde Menschen: Gern mal etwas Süsses, es löst Glücksgefühle aus, und das ist gut für die Psyche. Ausserdem erlaubt Ayurveda-Ernährung 20 Prozent Ausnahmen.

Kerstin, welche Rolle spielt Zucker in der indischen Küche?

Wer schon einmal in Indien war oder die indische Küche kennt, der weiss, die Inder haben an sich keine Angst vor Zucker. Die typisch indische Ernährung ist süss und verwendet den Zucker üppig.

Und in der traditionellen indischen Medizin Ayurveda?

Auch der Ayurveda sieht Zucker nicht per se als schlecht an. Im Gegenteil: Zucker wird als energiespendend, nährend und geschmacksverbessernd beschrieben. Er wird auch medizinischen Rezepturen gegen Auszehrung, Erschöpfung oder Mangelerscheinungen zugegeben.

Aus Ayurveda-Sicht: Was macht Zucker mit mir?

Ayurveda beschreibt die Eigenschaften von Zucker als süss, kühlend, aufbauend und Energie speichernd. Menschen mit Übergewicht, Diabetes, Atemwegserkrankungen und anderen Beschwerden, die wir im Ayurveda einem zu hohen Kapha-Dosha zuordnen, sollten den Zucker natürlich weitgehend meiden. Doch ein bisschen Zucker ist selbst für diese Menschen wichtig, da er das Leben versüsst. Er nährt die Psyche mit Glücksgefühlen und Zufriedenheit.

Hängt, ob eine Person Zucker benötigt oder nicht, vom Konstitutionstyp ab? Oder ist Zucker per se verpönt?

Das grosse Problem von Zucker ist, dass er oft als Ersatzstoff für hochwertige und vitalstoffreiche Nahrung genommen wird. Oft stehen wir ja unter Stress, unser Verdauungsfeuer ist nicht in der Lage, die Nahrung gut aufzuschlüsseln, es kommt zu Mangelerscheinungen. Da reagiert unser Organismus mit Heisshunger nach Süss.

Das sind oft regelrechte Heisshunger-Attacken.

Ja, und essen wir nun zuckerreiche Süssigkeiten, so betrügen wir unseren Körper und verstärken die Mangelsymptome.

Was wäre da richtig?

Früchte, Nüsse und Gemüse, Vitalstoffreiches. Wir sollten die Lust auf Zucker als erstes richtig interpretieren und dann die Speisen entsprechend auswählen.

Da spielen jetzt Vata, Pitta und Kapha hinein?

Ja, für Vata- und Pitta-Typen wirkt der süsse Geschmack – und damit auch eine moderate Menge an Zucker – beruhigend und ausgleichend. Kapha-Typen hingegen sollten versuchen, auf alle Arten von Zucker so weit wie möglich zu verzichten, vielleicht ab und zu etwas Honig.

In deiner Praxis, hast du viele Personen, deren Probleme auf Zucker zurückzuführen sind?

Viele meiner Patienten leiden unter Heisshunger und essen speziell am Nachmittag und Abend unkontrolliert zu viel Süsses und Schweres. Und natürlich wollen auch viele ihr Gewicht reduzieren und sollten deshalb statt süss lieber den bitteren und scharfen Geschmack bevorzugen.

Inwiefern kann der Ayurveda hilfreich sein, um den Zuckerverzicht leicht zu machen?

Sind Körper und Psyche ausgeglichen und der Stoffwechsel arbeitet gut, dann verspüren wir wenig Lust auf Zucker oder denaturalisierte Speisen. So hilft es generell, auf eine gesunde und hochwertige Ernährung zu achten, die täglichen Mahlzeiten in Ruhe und ohne Stress einzunehmen und die Speisen mit anregenden Gewürzen wie Ingwer, Kreuzkümmel oder Pfeffer leichter verdaulich zu machen. Um Lust oder Heisshunger nach Süssigkeiten zu reduzieren hilft es nach meinen Erfahrungen sehr gut, wenn wir am Nachmittag zwischen zwei und vier Uhr ein wenig süsse Früchte essen – wie Trauben, Datteln oder Trockenfrüchte.

Ein Dessert, auch etwas Süsses zwischendurch, ist etwas vom Schönsten, was es gibt. Muss ich darauf wirklich verzichten?

In der ayurvedischen Ernährung für gesunde Menschen ist eine Süssspeise ein wichtiger Teil eines gesunden und ausgewogenen Mittagessens. Es gibt also keinen Grund, komplett auf Süsses zu verzichten. Eine heilsame Diät für kranke Menschen darf auch eine kleine Süssigkeit enthalten, doch diese besteht dann aus speziellen Rezepten mit Zutaten, die individuell auf die PatientIn abgestimmt sind.

Ich bin ja im Winter Fan von Apfelstrudel mit Vanillesauce, im Sommer von Vanilleeis ohne Ende. Da liege ich ayurvedamässig wohl total falsch?

Tja, Martin, diese Dessertvariationen sind im ayurvedischen Kontext tatsächlich nicht so empfehlenswert. Aber weniger aufgrund des Zuckergehalts als aufgrund ihrer schweren Verdaulichkeit. Beim Apfelstrudel mit Vanillesauce führt die Kombination von heiss und kalt sowie von Früchten, Milch und Zucker zu unverdauten Stoffwechselprodukten, Ama nennen wir die. Und Eiscreme ist mit seiner kalten, süssen, schweren und schleimigen Eigenschaft wirklich eine Belastung für die Atemwege und Zirkulationskanäle, Srotas genannt, und das Verdauungsfeuer, Agni.

Jetzt bin ich gespannt, ob du Dessert- bzw. Süsses-Empfehlungen hast.

Im Ayurveda sind wir Fans von gesunden und nahrhaften Süssspeisen wie Mandelpudding, Mangocreme, Kichererbsenkonfekt oder Milchreis, und wir schmecken sie ab mit verdauungsfördernden Gewürzen wie Zimt, Kardamom, Ingwer und Nelke.

Du hast drei Kinder – hast du als Mutter Tipps für andere Mütter – und Väter –, wie sie ihren Kindern weniger Zucker geben können oder sogar wie sie Kinder die Idee nahelegen können, dass Zucker nicht so super ist, wie er schmeckt? Ziel wäre ja ein einigermassen vernünftiger Umgang mit Zucker.

Gelingt es uns, die Kinder von Fertigprodukten, Fastfood und Softdrinks fern zu halten, so ist Zucker eigentlich kein Problem. Meine Kinder fanden das Essen zu Hause immer am besten und haben ihre Lust auf Süss gerne mit selbstgemachten Energiebällchen, Nussschnitten und frischem Obstsalat befriedigt. Ayurveda lehrt, dass eine gesunde Ernährung auch 20 Prozent Ausnahmen enthalten darf. Dies ist gut für das psychische Gleichgewicht. Und wenn Kinder diese 20 Prozent mal für Schokolade nutzen wollen, dann sollte man sich deshalb keinen Stress machen. Spätestens in der Pubertät, wenn sie eine schöne Haut haben wollen, auf das Gewicht achten und zum Sport gehen, achten sie sich mit grosser Begeisterung und Disziplin auf gesunde Ernährungsregeln.

Bist du in deinen Büchern auch auf Zucker eingegangen? In welchem am ausführlichsten?

In dem Buch «Ayurveda heilt – Nahrung als Medizin» werden die ernährungstherapeutischen Empfehlungen bei Diabetes, Übergewicht und anderen ernährungsbedingten Beschwerden am besten beschrieben. Und im April erscheint mein neues Buch «Ayurveda und Detox». Da ist der Umgang mit Zucker natürlich auch ein wichtiges Thema.

Danke für das Gespräch, Kerstin.

Gern, Martin.

 

Kerstin Rosenberg ist Gründerin und Miteigentümerin der Rosenberg Europäische Akademie für Ayurveda, die sie zusammen mit ihrem Ehemann Mark Rosenberg führt. Kerstin ist als Ayurveda-Spezialistin auch eine international gefragte Referentin, und in ihren Büchern, zum Beispiel «Das Ayurveda-Praxisbuch für Frauen. Gesund, schön und sinnlich» (ISBN 3855029768) thematisiert sie das Wissen des Ayurveda auf eingängige und hilfreiche Art. Im April 2018 erscheint ihr neues Buch «Ayurveda und Detox».

Links

Bücher von Kerstin Rosenberg

Modul «Ernährung nach Ayurveda-Typologie»

  • https://www.heilpraktikerschule.ch/module-detail/ernaehrung-nach-ayurveda-typologie

Info-Veranstaltungen und Ayurveda-Infoabende mit Vorträgen

https://www.heilpraktikerschule.ch/newsroom/news-detail/news/2018/03/16/die-lust-auf-zucker-richtig-interpretieren/