«Babys lieben Akupunktur»

Ebikon, 25. November 2015 – In der Kindersprechstunde von TCM-Therapeutin Ruthild Schulze geht es auch um Prophylaxe: Hat sie Erwachsene mit chronischen Krankheiten in der Praxis, denkt Ruthild oft, wie man diese Krankheiten schon im Kindesalter hätte verhindern können. Darüber – und über die Rolle der Männer als Empfangende sowie das Wochenbett als kraftvolle Basis der Familie – spricht Ruthild im Interview.

TCM-Therapeutin Ruthild Schulze bringt in ihrer Kindersprechstunde einiges unter einen Hut: zum Beispiel auch mal mit den Kindern unter den Tisch krabbeln oder mit ihnen einen Tee trinken. Und Zungendiagnose, Pulsfühlen und, ja, Akupunkturnadeln stechen. Ruthild unterrichtet eine Reihe von Modulen zur TCM-Pädiatrie an der Heilpraktikerschule Luzern.

Ruthild, wie ist das so in deiner Praxis? Das muss ja recht lebhaft zu- und hergehen mit all den Babies und Kindern?

Ja, immer wieder ist eine ganze Menge «ACTION» in meiner Praxis! Gerne kommen Geschwisterkinder mit – oder müssen mit – oder die Jugendlichen bringen einen «Kumpel» mit – zum Zugucken oder «Cool-sein». Gelegentlich sind die Kinder also mit Mutter oder Vater und Geschwisterkind bei mir im Behandlungszimmer, und im Kinderzimmer nebenan warten schon die Nächsten. Oder die vorigen bleiben noch ein wenig, weil das Kind unbedingt ein Buch zu Ende lesen oder noch spielen will. Full house eben. Auch das ganze Procedere, das ich mit den Kindern veranstalte – bis alle ihre «Nadel-Orden» und Rosinen oder einen Zauberstein gezogen haben, dauert es länger, als die reine Akupunktur oder sonstige Behandlung. Mir gefällt das, manchmal fühle ich mich dann wie jemand mit Grossfamilie. Klar, ich habe ja auch ruhige Phasen voller Ernst, Konzentration und Erwachsenen-Intensität.

Du bist ja speziell in TCM-Pädiatrie ausgebildet und bietest jetzt eine ganze Reihe von Modulen zu Schwangerschaft und Pädiatrie an. Was fasziniert dich an dem Thema?

Natürlich sind die Themen, die uns anziehen, oft auch mit recht empfindlichen eigenen Geschichten verbunden. Für mich hat der Sog spätestens begonnen, als wir unser erstes Baby mitten in der Schwangerschaft verloren haben. Zunächst war es ein persönliches Interesse, dann wurde es zu einer Erfahrung, die sich auch bereichernd und qualifizierend auf meine Arbeit auswirkte. Ich habe so viel in unserer eigenen Leidensgeschichte – das war 1991 – gelernt. So schmerzhaft es war, das Baby zu verlieren, so lehrreich war diese Erfahrung für mich. Mit diesem Wissen und Segen kann ich heute meine Klientinnen begleiten. Unser Sohn ist 1993 zu Hause geboren, und im Anschluss hat es sich ergeben, dass ich Hebammen unterrichte, seit 1994 mache ich das. 2003 habe ich dann die Schwangerschaftsscheibe entwickelt. Da ich überwiegend mit dem Thema Schwangerschaften und Kinderwunsch unterwegs bin, liegt es in der Natur der Sache, dass dann die Kinder mehr und mehr und auch immer früher in meine Praxis kamen. Mein Wunsch, seit ich Anfang der 80er Jahre Sonderpädagogik studiert hatte, war es, die zum Beispiel durch Geburtsverläufe beeinträchtigten Babys mit Chinesischer Medizin und Akupunktur zu behandeln. So früh wie möglich. Durch die Fügung, dass ich so viele Hebammen unterrichten durfte, hatte ich ein Forum, was mich in diesem Kontext den Familien weiterempfahl. 

Und hat sich die Chinesische Medizin positiv ausgewirkt?

Ja, und nicht nur bei diesen speziellen Kindern wirkt die Chinesische Medizin unglaublich schnell und tiefgreifend. Das ist vielleicht das Schönste an der Pädiatrie: Sie wirkt prophylaktisch. Das ist bei den Schwangerschaftsbegleitungen sehr deutlich mein Ziel. In manchen Momenten mit meinen jungen Patienten kann ich den Segen einer so frühen und so guten Medizin erfassen. So hilft die TCM zum Beispiel, chronische und schwere Krankheiten zu vermeiden. Anders herum: bei manchen Erwachsenen-Anamnesen ist mir schmerzlich bewusst, wie wenig es gebraucht hätte, als diese Menschen noch Kinder waren.

Kann man Kleinkinder und Kinder tatsächlich schon mit TCM, ja gar mit Akupunktur behandeln? Es gibt da wohl auch skeptische Stimmen?

Babys lieben Akupunktur, das musst du einfach erlebt haben, um es zu erfassen und zu glauben. Die Kinder spüren, wenn wir ihnen Gutes angedeihen lassen wollen. Sie spüren unsere Absicht, unser Ziel, unsere Empathie. Ich glaube, dass auch die Tatsache, dass ich mein Handwerkszeug und das Nadeln so liebe, unterstützend wirkt. 

Und wenn ein Kind Akupunktur partout nicht mag?

Es gibt ja, egal ob für gross oder klein, viele andere Möglichkeiten der Chinesischen Medizin. Ich liebe es auch «Piraten-Körner» oder «-Pflaster» oder wunderbare Goldkügelchen zu kleben – mal als Prinzessinnen-Kugeln, mal als Prinzen-Vergoldung. Das ist nicht invasiv und wirkt auch sehr gut. Trotzdem kann es vorkommen, dass ein Kind diese Pflaster unangenehmer als die Nadeln empfindet. Das Nadeln ist schnell vorbei, die Pflaster müssen manchmal langwierig und vorsichtig abgelöst werden. Und es ist nicht immer gleich. Kinder, die sich oft und viel und gerne nadeln liessen, haben plötzlich eine Abneigung – dann vertraue ich dem Kind und richte mich nach ihm.

Kein Zwang also.

Das sicher nicht, und ich mag es, wie ich in der Kindersprechstunde immer sehr flexibel sein muss, nicht nur, wie ich mit den Kindern unter den Tisch krabble. Oder Tee trinken, Zungendiagnose und Pulsfühlen unter einen Hut bringen: Ich respektiere Abwehr, Zurückhaltung oder Scheu bei einem Kindern und warte, bis ich freundlichen Zugang und Vertrauen finde, bis wir zusammen arbeiten können.

Im Optimalfall begleitest du das Kind ja schon, bevor es auf der Welt ist und dann auch bereits im Wochenbett, zusammen mit der Mutter. Entschuldige, aber diese Frage kann nur von einem Mann kommen: Warum ist eigentlich das Wochenbett so wichtig?

Oder die Frage kommt von einem Mann, der nicht auf ein Wochenbett vorbereitet wurde. Das Wochenbett ist für die Männer, Frauen und Babys wichtig. Zum einen, weil es der Anfang in der neuen Zeit miteinander ist, zum anderen, weil es die Wurzel für die lebenslange Beziehung der Beteiligten legt. Diese sollte für alle Beteiligten ganz wunderbar sein – und zwar wunderbar im wahrsten Sinn des Wortes «Wunder». So erhält diese Wurzel als Familie eine gute, kraftvolle Basis.

Und medizinisch?

Die Frau ist körperlich sehr geöffnet, ihr Yinigster Ort ist durch die Geburt geöffnet. Das macht sie körperlich sehr empfindlich für kleinste Störungen. Ich mache die Wochenbett-Vorbereitung in den letzten acht Wochen vor dem Geburtstermin mit beiden Partnern. Ich lade den Mann dazu, bei lesbischen Paaren natürlich die Frau. Dabei benutze ich oft das Bild: Eine Frau huscht nackt von der Dusche durchs Bad, wie sie das immer gerne macht. Selbst, wenn die Geburt im Hochsommer erfolgt, für die Wöchnerin birgt dieses «kurze Huschen» die Gefahr, sich zu erkälten. Alle ihre Kräfte sind nach Innen gerichtet, zur Blutbildung, Rückbildung des Uterus und zur Milchbildung hin. An der Oberfläche ist kaum Wei Qi vorhanden. So kommt es zu einer extremen Empfindlichkeit.

Rot gefärbte Eier essen: Was bedeuten solche Riten, die vielleicht ein wenig seltsam sind, in unserer modernen Gesellschaft?

Bei den Riten geht es vor allem um Signale, Symbole für die Besonderheit dieser Phase im Leben einer Familie. Die alten Riten aus China können uns vor allem warnen, diese Zeit nicht zu unterschätzen. Auch in anderen Kulturen gibt es im Grunde ganz ähnliche Anweisungen für das Wochenbett. Gemeinsam ist ihnen, die Schutzbedürftigkeit der Mutter und des Kindes zu betonen. So verhindert z.B. ein rotes Band über der Tür der Wöchnerin – das sogenannte Blutband – das unangemeldete Eintreten der Nachbarn oder Besucher. Es soll schlicht verhindern, dass sich Mutter und Kind erschrecken. Das mag tatsächlich seltsam oder übertrieben erscheinen, aber es macht aus medizinischen Betrachtungen heraus extrem viel Sinn: Das Wochenbett ist eine sehr kurze Zeitspanne im Leben einer Familie. Hier ausgesprochen stark auf Gesundheit und Erholung zu achten, tut allen gut! Es gibt eine gute Grundlage für die Anstrengungen, die natürlicherweise kommen werden im Leben mit kleinen Kindern. Der Genuss und das Glück über die Ankunft werden tief im Inneren der Beteiligten integriert, verankert. Was übrigens auch ganz wichtig ist: Eine Frau kann in ihrem Wochenbett auch gesünder werden. Wenn sie gute Bedingungen hat, können chronische Krankheiten aus der Zeit vor ihrer Schwangerschaft ausheilen.

Hauptsächlich wird ja über Mutter und Kind gesprochen. Wo bleiben eigentlich die Väter?

Wie ich schon sagte, ich lade die Väter zur Wochenbettvorbereitung ein. Auch sie sind geboren worden, auch sie befinden sich in einem wunderbaren Veränderungsraum ihres Lebens. Die eigene Kindheit, die eigenen Erfahrungen sind nah. Emotional eine gute Zeit, Verhärtungen zu lösen, berührt zu sein, Neues im weiteren Sinne ins Leben zu lassen. Auch bei den Kinderwunschpaaren ist mir wichtig, beide zu erleben. Im letzten Drittel der Schwangerschaft – wenn die Ungeborenen die Stimmen ausserhalb des Palastes, also des Uterus, besonders gut hören und unterscheiden können –, tritt der werdende Vater in seine Vorbereitung, das Kind gut zu empfangen. Die Frau bringt das Kind hervor – der Mann empfängt. Zum einen ist das bezüglich YinYang der Ausgleich zur Zeugung und zum Empfangen zehn Monate vorher. Ausserdem ist das für die Paarbeziehung eine schöne Chance, den anderen Pol besser kennenzulernen. Alles rund um Schwangerschaft und Geburt schenkt uns Verständnis, Liebe und Heilung.

Du machst das ja schon eine geraume Weile. Theoretisch hast du ja schon junge Erwachsene bzw. Teenager als PatientInnen, die schon als Neugborene bei dir waren? Wie ist das, Menschen seit dem Beginn ihres Lebens zu begleiten?

Ja, nicht nur theoretisch. Am 1.10.89 habe ich nach zwei Jahren Ambulatorium und Schulpraxis mit der eigenen Praxis begonnen. Einige Kinder habe ich bis zur Pubertät begleitet, einige sind als junge Erwachsene wiedergekommen. Oder ich kenne sie aus der Schwangerschaft und den ersten Monaten und Schwupps, da sind sie schon in der Pubertät. Ich muss sagen, ich finde es immer besonders, Wachstum so intensiv mitzuerleben. Am Magischsten ist der Moment, wenn ich die Babys zum ersten Mal sehe, die ich in der Schwangerschaft begleitet habe: Ich geniesse diesen Blick in die Unendlichkeit. Manchmal sehe ich Kinder nach der Behandlung im Kleinkindalter erst wieder, wenn sie durch ihre Pforten gehen: die Mädchen mit etwa 6 ½, also ein halbes Jahr vor der 7-Jahres Entwicklungs-Tür, oder mit 2x7 am Anfang der Geschlechtsreife. Bei den Jungs – sagt ihr Buben? – sind diese günstigen Zeiten zum Stärken ihrer Konstitution mit 1x8 und 2x8 Jahren. Dazu verabrede ich mich ganz langfristig mit den Familien. Das hat sich bewährt. Es bleibt lebenslang interessant, diese 7er und 8er Jahre zu achten: sich zu pflegen und zu erholen geht in diesen Lebensjahren besonders gut!

Danke, Ruthild, für das Gespräch!

 

Ruthild Schulze arbeitet seit 1989 als Heilpraktikerin und Dozentin für Chinesische Medizin. Ruthild ist spezialisiert auf Behandlungen bei Kinderwunsch, Begleitung während der Schwangerschaft sowie der Behandlung von Babys, Kindern und Jugendlichen. Ruthild hat sich zielgerichtet in Chinesischer Kinderheilkunde weitergebildet. Ausserdem unterrichtet sie Hebammen und GeburtshelferInnen in der Anwendung von Akupunktur für die Geburtshilfe. Ihre «Schwangerschaftsscheibe» bietet als «Wanderung durch den Vorhimmel» eine Orientierung während der 38 Wochen Schwangerschaft.

Ruthild hat zwei Kinderbücher geschrieben, in dem sie auf schöne Art die TCM erklärt – auch erhellend für Erwachsene: «Line und Paul und Akupunktur». Und das Buch «Kinderwunsch-Wunschkind», ebenfalls für Kinder und Eltern – und für alle, die wissen wollen, wie es ist, ein einem Brustschrank zu entstehen.

Module mit Ruthild

  • TCM-Kindbett: Der Sinn von Wochenbett
  • TCM-Pädiatrie: Kleinkinder im späten Nachhimmel
  • TCM-Pädiatrie: Gesund durch die erste Pforte
  • TCM-Schwangerschaft: Vorhimmlische Akupunktur

 

Mehr zu Kindern in unserem Kinder-Dossier.

https://www.heilpraktikerschule.ch/newsroom/news-detail/news/2015/11/25/babys-lieben-akupunktur/